Namen  |  Adressen  |  Orte  |  Deportationen  |  [info]

Erinnerungsbuch für die
        jüdischen NS-Opfer aus Oldenburg



Projekt  |  Kontakt  |  Impressum

Über das Erinnerungsbuch

Tafel der Todesopfer im Erinnerungsbuch von 2001

›Erinnerungsbuch. Ein Verzeichnis der von der nationalsozialistischen Judenverfolgung betroffenen Einwohner der Stadt Oldenburg 1933–1945‹ — unter diesem Titel haben wir im Herbst 2001 eine Sammlung der Lebensdaten von 585 Menschen veröffentlicht, die in den Jahren des Dritten Reiches hier lebten und im rassistischen Verständnis der Nationalsozialisten als ›Juden‹ oder ›jüdische Mischlinge‹ galten [1].

Mit dieser Dokumentation wurde angeknüpft an die Bemühungen des langjährigen Vorsitzenden der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Oldenburg, Dr. Enno Meyer, Kontakt zu den in alle Welt verstreuten Überlebenden der jüdischen Gemeinde herzustellen [2]. In den dreißig Jahren, die seit Meyers Versuch einer möglichst umfassenden Auflistung der ›rassisch‹ verfemten Menschen vergangen waren, waren zahlreiche weitere Quellen zugänglich geworden. Sie ermöglichten eine Vervollständigung des Gesamtbildes und eine Aufklärung weiterer Einzelschicksale. So musste die Zahl der bekannten Todeopfer der Judenverfolgung auf 167 und damit deutlich nach oben korrigiert werden. Heute wissen wir, dass auch diese Zahl unvollständig war.


Erinnerungsbuch und Gedenkwand

Gedenkwand vor dem PFL. Foto: Stadt Oldenburg
Foto: Stadt Oldenburg

Das Erinnerungsbuch ist die wesentliche Quelle der Angaben zu den 167 Todesopfern, die auf der ›Gedenkwand zur Erinnerung an die jüdischen Opfer der Nationalsozialisten in Oldenburg‹ vor dem Kulturzentrum PFL verzeichnet sind. Dieses Mahnmal wurde am 10. November 2013 enthüllt – dem 75. Jahrestag der Reichspogromnacht, in der auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Synagoge in Flammen aufging –, und geht zurück auf die bürgerschaftliche Initiative des Arbeitskreises ›Erinnerung gestalten‹. Dessen konzeptionelle Vorstellungen hat sich der Rat der Stadt mit breiter Zustimmung zu eigen gemacht [3].

Die Einweihung der Gedenkwand hat – bei grundsätzlicher Zustimmung zur Schaffung eines öffentlichen Erinnerungsortes – kritische Nachfragen ausgelöst. Dabei ging es zum einen um die Vorgeschichte und Entscheidungsfindung: in dieser Hinsicht wurden mangelnde Transparenz, eine ungenügende Einbeziehung der Öffentlichkeit und das Fehlen eines künstlerischen Wettbewerbs beklagt, die zur unkritischen Übernahme eines unbefriedigenden Entwurfs und seiner Realisierung am falsch gewählten Ort geführt hätten. Zum anderen wurde die inhaltliche Ausgestaltung bemängelt, insbesondere die Nennung der jeweils letzten Oldenburger Meldeanschrift der Opfer, die häufig nicht mit der langjährigen Wohnadresse übereinstimme und sich auf Zwangsunterkünfte beziehe, in die man die Juden zuletzt zusammengepfercht habe. Schließlich wurde auch die namentliche Nennung des Arbeitskreises auf der Gedenkwand als unangemessen kritisiert [4].


Erinnerungsbuch online

Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Gedenkwand hat uns veranlasst, ergänzende biographische Informationen zu den Oldenburger Todesopfern der Judenverfolgung im Internet bereitzustellen. Dazu gehören – soweit bekannt – Angaben zu Familienangehörigen, Berufen und Gewerben, alle Oldenburger Meldeadressen sowie die früheren und späteren Wohnorte. Schließlich werden die Daten und Wege der Deportationen nachgezeichnet, denen die allermeisten der hier genannten Personen ab Herbst 1941 zum Opfer fielen [5]. Die Ausgangsstationen der Deportationen liegen verstreut im Deutschen Reich und im besetzten Westeuropa, nicht aber in Oldenburg selbst, denn bereits im Frühjahr 1940 waren mit wenigen Ausnahmen die bis dahin in Ostfriesland und im Land Oldenburg verbliebenen Juden aus ihren Heimatorten vertrieben worden [6].

Die Angaben entsprechen weitgehend dem Erinnerungsbuch von 2001, wurden jedoch nochmals überprüft und ggf. korrigiert oder erweitert. Auch die Initiatoren der Gedenkwand hatten bereits einige Korrekturen vorgenommen [7]. Allerdings gab es bei der Zusammenstellung der Personenliste der Gedenkwand ebenfalls einige Irrtümer, die wir an dieser Stelle berichtigen [8].

Den 167 Namen der Gedenkwand mussten wir acht weitere Todesopfer hinzufügen: Rosa Jakobs, Betty Valk geb. Cohen, Ernst-Joachim Loewe und Josef Wolf (das Schicksal dieser vier Personen konnten wir 2001 nicht ermitteln), Frieda Mayer geb. Hattendorf (die 2001 formulierte Vermutung, sie sei emigriert, ist falsch), sowie Margot Jonas, Carola Hermine Kahn und Emanuel Pinto (sie fehlen im Erinnerungsbuch).

Ergänzend zur Druckausgabe möchten wir hier auch an die Schülerinnen und Schüler erinnern, die zwischen 1937 und 1940 die Jüdische Volksschule in der Stadt besuchten. Dr. Leo Trepp – seit August 1936 Landesrabbiner in Oldenburg – war es mit Geschick und Beharrlichkeit gelungen, den Behörden die Einrichtung einer ›Konfessionsschule‹ abzuringen. Sie konnte den schulpflichtigen jüdischen Kindern schon ein Jahr vor dem Verbot des Besuchs der Regelschulen einen Raum bieten, der etwas Schutz vor den alltäglichen Erniedrigungen bot. Als Schulbezirk galt das gesamte Land Oldenburg und so gab es unter den 53 namentlich bekannten Schulkindern 24 Fahrschülerinnen und -schüler. Mindestens 21 dieser Kinder wurden später ermordet, darunter neun Auswärtige. Auch der letzte Lehrer der Schule, ebenfalls ein Pendler, fand den Tod.


Anmerkungen

  1. Das Erinnerungsbuch entstand aus einer Idee des Vereins Werkstattfilm e.V., der sich vor Erscheinen wegen konzeptioneller Differenzen aus dem Projekt zurückgezog. Es ist inzwischen vergriffen. Durch eine Spende des Fördervereins Internationales Fluchtmuseum konnten 2008 die Restbestände für Oldenburger Schulen erworben werden (NWZ vom 23.4.2008). In Stadt-, Landes- und Universitätsbibliothek ist es verfügbar.
  2. Am 8. November 2001 wurde das Erinnerungsbuch mit einer Veranstaltung im Stadtmuseum Oldenburg der Öffentlichkeit vorgestellt. Den Hauptvortrag hielt Roland Neidhardt. Vorangegangen waren Redebeiträge von Ahlrich Meyer, der einen öffentlichen Erinnerungsort mit den Namen der Oldenburger Opfer des Judenmords anregte, und von Jörg Paulsen zur lokalen Vorgeschichte des Buchprojekts, so der Pionierleistung von Enno Meyer.
  3. siehe auf den Internet-Seiten der Stadt Oldenburg: Gedenkwand für die jüdischen NS-Opfer in Oldenburg;
    zum Arbeitskreis ›Erinnerung gestalten‹ vgl. die Reportage im ›Oldenburger Lokalteil‹ vom 23.1.2012: Sichtbar machen durch Erinnerung;
    der Kulturausschuss hat sich in den Sitzungen vom 17.1.2012, 20.11.2012 und 18.6.2013 mit dem Vorschlägen des Arbeitskreises befasst und sie ohne vertiefte inhaltliche oder ästhetische Diskussion übernommen; der Stadtrat nahm den Beschlussvorschlag in seiner Sitzung vom 24.6.2013 an.
  4. siehe taz-Bremen vom 7.1.2014: Der Zwang bleibt unsichtbar, ›Oldenburger Onlinezeitung‹ vom 25.1.2014: Fehlerhafte Gedenkwand sorgt für heftige Kritik, sowie NWZ vom 23.1.2014: Erinnerungswand in der Kritik, vom 28.1.2014: Ringen um angemessene Erinnerung vor dem PFL und vom 20.3.2014: Fehler an Erinnerungswand für Holocaust-Opfer;
    am 18.2.2014 fand im Anschluss an eine Sitzung des Kulturauschuss eine öffentliche Diskussion statt, zu der das Kulturamt ein ausführliches Protokoll erstellt hat;
    zur Debatte um die Nennung Wohnadressen und die Existenz von ›Judenhäusern‹ in Oldenburg lag den Diskutanten und den Mitgliedern des Kulturausschusses eine Expertise auf Grundlage der Daten des Erinnerungsbuches vor (Jörg Paulsen: Zum Zwangscharakter der Wohnadressen von Juden in Oldenburg 1938 bis 1940);
    am 18.3.2014 beriet der Kulturausschuss über Konsequenzen;
    zur Sitzung des Kulturausschusses am 15.7.2014 legte die Verwaltung einen Sachstandsbericht vor.
  5. Von den 176 genannten Todesopfern wurden 158 ab Herbst 1941 vom Räderwerk der Transporte in die Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager erfasst: 109 Personen wurden aus dem Deutschen Reich deportiert, 39 aus den Niederlanden, 9 aus Frankreich und eine aus Belgien.
    Die übrigen 18 Personen:
    Im Gerichtsgefängnis Oldenburg kam Anfang 1936 ein Insasse ums Leben, ob infolge zuvor erlittener Misshandlungen oder durch Suizid ist unbekannt.
    Im Dezember 1936 forderte das Konzentrationslager Sachsenhausen ein erstes Todespfer aus Oldenburg.
    Ende 1937 starb ein jüdischer Patient des Klosters Blankenburg, vermutlich wegen systematischer Unterversorgung.
    Ein weiterer Patient des Klosters Blankenburg wurde 1940 im Rahmen der Aktion T4 (›Euthanasie‹) in der Tötungsanstalt Brandenburg ermordet.
    In Sachsenhausen wurden im Laufe des Jahres 1940 drei Männer ermordet; ein weiterer Mann, der nach dem Novemberpogrom 1938 in Sachsenhausen schwer misshandelt worden war, konnte 1939 zwar noch emigrieren, starb aber 1940 an den Folgen der Haft.
    Zwei Männer nahmen sich 1940 in Hamburg das Leben.
    Bei drei im Oktober 1938 nach Polen abgeschobenen Personen sind die Umstände, unter denen sie während der Bestzung umkamen, unbekannt.
    In den Konzentrationslagern Ravensbrück und Mauthausen starben 1942 eine Frau und ein Mann.
    In den Niederlanden starben zwei Personen, die untergetaucht waren, um der Verhaftung zu entgehen: 1943 ein Mann in seinem Versteck und 1944 eine junge Frau, die unmittelbar nach ihrer Befreiung durch vorrückende amerikanische Truppen von einer deutschen Granate getötet wurde.
    Ende 1944 starb in Holzminden ein als ›Halbjude‹ im Arbeitslager Lenne inhaftierter Jugendlicher.
  6. Vor ihrem freiwilligen oder erzwungenen Fortzug hatten von den 175 genannten Todesopfern 81 seit ihrer Geburt oder mehr als zehn Jahre in Oldenburg gewohnt, 10 fünf bis zehn Jahre und 15 zwei bis fünf Jahre. Die übrigen 69 Personen lebten weniger als zwei Jahre in der Stadt, davon 30 bis zu einem halben Jahr. In dieser Gruppe waren viele Menschen, für die Oldenburg in den letzten Jahren und Monaten vor der endgültigen Vertreibung der Juden aus Nordwestdeutschland im Frühjahr 1940 zu einer Zwischenstation auf ihrem Leidensweg wurde.
  7. Die wichtigste Änderung betrifft das im Erinnerungsbuch als verschollen aufgeführte Ehepaar Alma und Benjamin de Levie: tatsächlich war es ihm noch gelungen, von Holland aus weiter in die USA zu emigrieren (vgl. Günther Rohdenburg & Karl-Ludwig Sommer: Erinnerungsbuch für die als Juden verfolgten Einwohner Bremens, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wegen ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen Glaubensgemeinschaft oder nach Kriterien der nationalsozialistischen Rassegesetzgebung als Juden verfolgt wurden. – Bremen: Staatsarchiv, 2006, S. 150).
  8. Es handelt sich um fünfzehn Korrekturen einzelner Fakten:
    Bertha Bendix geb. de Haas: Geburtsdatum 26.2.1909 statt 26.2.1905;
    Leonhard Bollegraf: Geburtsort Siddeburen (Gemeinde Slochteren, Provinz Groningen) statt unbekannt;
    Emma Cronheim geb. Lichtenberg: Geburtsort Neuwedell (Bezirk Neumark, Pommern) statt Neuwedel;
    Axel Goldschmidt: Vorname Alex statt Axel;
    Grete Lewin geb. Hattendorf: Geburtsort Osternburg statt Oldenburg;
    Erna Liepmann geb. Weinberg: letzte Adresse Schüttingstr. 20 statt Nordstr. 2;
    Leopold Liepmann: letzte Adresse Schüttingstr. 20 statt Nordstr. 2;
    Henni Löwenstein: Deportation 18.11.1941 v. Bremen n. Minsk statt 17.11.1941 unbekannter Ort;
    Carla Meyerhoff: Geburtsdatum 19.4.1910 statt 19.4.1919;
    Hermann Parnes: Tod 10.10.1942 (Sterbedatum in Auschwitz) statt 23.7.1942 (Ankunftstag);
    Elfriede Salomon geb. Lietz: für tot erklärt, Todesdatum und -ort unbekannt, statt 3.11.1943 Dorohucza;
    Fritz Salomon: für tot erklärt, Todesdatum und -ort unbekannt, statt 3.11.1943 Dorohucza;
    Ella Seligmann geb. Pick: Geburtsdatum 21.10.1879 statt 23.10.1879;
    Henni Silberberg geb. Heinemann: Tod 10.8.1942 statt 18.8.1942;
    Heinrich van der Walde: Deportationsziel Konzentrationslager Warschau statt Ghetto Warschau.
    Eine grundsätzliche Schwierigkeit betrifft die uneinheitliche und intransparente Darstellung der Deportations- bzw. Todesdaten auf der Gedenkwand: Weil bei den in die Lager und Ghettos Deportierten das genaue Sterbedatum nur selten bekannt ist, wurde ersatzweise das Datum der Deportation verzeichnet. Teils handelt es sich dabei um die Abfahrts-, teils um die Ankunftstage der Deportationszüge, wobei dem Datum der Ankunft am Zielort – soweit bekannt – der Vorzug gegeben werden sollte. Diese Regel wurde allerdings häufig nicht richtig angewendet. Problematisch ist auch, dass der Charakter des jeweils angegebenen Datums nicht gekennzeichnet ist.